Deutsche Sextouristen werden in der Regel nicht bestraft. Weder im Urlaubsland, noch in Deutschland. Dies bestätigt eine aktuelle Studie der Organisation ECPAT Deutschland e.V. (Arbeits- gemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung). ECPAT hat Staatsanwaltschaften, Gerichte, Landeskriminal- und Landesjustizministerien nach Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im Ausland befragt. Dabei konnten für die letzten 10 Jahre (2005-2015) nur 34 Verfahren vor deutschen Gerichten identifiziert werden. Es kam lediglich zu 10 Verurteilungen.

Aufklärungsquote weit unter 1:50.000

Sextourismus als solcher ist nicht strafbar. Was aber strafbar ist: Wenn ein Deutscher im Ausland Sex mit Kindern (unter 14 Jahren) oder Minderjährigen (unter 18 Jahren) hat. Nach Schätzungen des katholischen Hilfswerks missio reisen jährlich 400.000 Deutsche als Sextouristen ins Ausland. Davon sollen es 50.000 bis 200.000 (also bis zu jeder zweite) auf Kinder und Minderjährige abgesehen haben. Prof. Birgit Thoma, Juristin und Kriminologin, hält diese Zahlen, die auf Selbstangaben der Sextouristen beruhten, für zu gering. Man müsse von jährlich 1 bis 1,5 Mio. deutschen Pädokriminellen im Ausland ausgehen.

Dies führt bei einer Verurteilungsrate von 10 Tätern in 10 Jahren zu einer Aufklärungsquote von nicht mehr als 1:50.000. Die Aufklärungsquote sei so niedrig wie bei kaum einem anderen Verbrechen, kritisiert Christa Nickels, die menschenrechtspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN.

Keine wirksame Prävention

Die deutsche Strafjustiz verfehlt damit derzeit den Auftrag des Gesetzgebers, sexuellen Missbrauch auch dann zu verfolgen, wenn er gegen Minderjährige im Ausland gerichtet ist. 1993 hatte die schwarz-gelbe Regierung unter Bundeskanzler Kohl und der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger auf Druck einer ECPAT-Kampagne den § 5 Nr. 8 StGB zur Eindämmung des Kindersextourismus erweitert. Der sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 StGB sollte fortan auch auf Auslandstaten von Deutschen unabhängig vom Recht des Tatorts und der Staatsangehörigkeit des Opfers anwendbar sein. Später wurde auch § 182 StGB in die Liste aufgenommen. Heute lautet die Norm:

§ 5: „Das deutsche Strafrecht gilt, unabhängig vom Recht des Tatorts, für folgende Taten, die im Ausland begangen werden: […]

§ 174 Absatz 1, 2 und 4 [Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen],

§§ 176 bis 179 [Sexueller Missbrauch von Kindern] und

§ 182 [Sexueller Missbrauch von Jugendlichen],

wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher ist.“

Strafgesetze rechtfertigen sich nach überwiegender Ansicht in Deutschland vor allem durch den präventiven Charakter von Strafe. Unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention soll einerseits das Vertrauen der Gesellschaft in die Rechtsordnung gestärkt werden und andererseits sollen potentielle Täter von einer Tatbegehung abgehalten werden. Spezialprävention zielt hingegen darauf ab, die Allgemeinheit vor einem bereits straffällig gewordenen Täter zu schützen, indem der Täter durch Strafe von einer nochmaligen Begehung abgehalten wird. Beides – Generalprävention und Spezialprävention – setzt jedoch eine verlässliche Verurteilung der Täter voraus. Sexueller Missbrauch von Minderjährigen wird jedoch faktisch nicht verfolgt.

Praktische Verfolgungshindernisse

Auf Grundlage einer Analyse von Gerichtsakten beschreibt ECPAT die Strafverfolgungshindernisse (S. 24 f.). Bemerkenswert ist, dass es sich im Wesentlichen um praktische Probleme handelt. Die materielle Rechtslage und die internationale justizielle Zusammenarbeit scheinen für die geringe Aufklärungsquote weniger verantwortlich zu sein.

Als Hauptgründe identifiziert ECPAT:

  1. Zeitspanne zwischen Tat und Verfahren: Wenn Jahre zwischen der Tat und dem Verfahren in Deutschland liegen, sinke in der Regel mit verblassender Erinnerung beim Zeugen die Glaubhaftigkeit der Aussage.
  2. Sprachbarriere: Deutsche Staatsanwaltschaften wie auch Richter in Kambodscha und Opferhilfeorganisationen in Vietnam berichteten, dass die Sprachbarriere zwischen Richter und Zeuge eine deutlich größere Hürde sei als etwa Schwierigkeiten in der justiziellen Zusammenarbeit.
  3. Opferidentifikation: Zu einer Verurteilung komme es in Deutschland in der Regel nur, wenn das Opfer eine Zeugenaussage in Deutschland macht. Bei weniger als der Hälfte der untersuchten Verfahren konnten jedoch die Opfer ausfindig gemacht werden.
  4. Zusammenarbeit mit NGOs:  Selbst wenn das Opfer der Staatsanwaltschaft bekannt ist, ist für die Reise nach Deutschland eine Zustimmung der Eltern nötig. Erforderlich sei deshalb eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der deutschen Staatsanwaltschaft und lokalen NGOs im Tatortland, die den Kontakt zur Familie des betroffenen Kindes pflegen.

Darüber hinaus könnte es helfen, die Straftat des sexuellen Missbrauchs von Kindern als Delikt der organisierten Kriminalität zu qualifizieren. Prof. Thoma kritisiert, dass es sich um ein internationales Verbrechen handle, auf das jedoch nicht mit den entsprechenden Instrumentarien (z.B. Sonderzuständigkeiten, erweiterte Ermittlungsbefugnisse, Inanspruchnahme von Inter- und Europol) reagiert werde.

Letztlich kann nur eine enge Kooperation zwischen den unterschiedlichen Akteuren Abhilfe schaffen: Es scheint an Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der Zivilgesellschaft im Allgemeinen zu liegen, die entsprechenden im Ausland gesammelten Hinweise den deutschen Staatsanwaltschaften vorzulegen. Und es scheint an den deutschen Staatsanwaltschaften und Gerichten zu liegen, die komplexen Fälle in Zusammenarbeit mit den NGOs auszuermitteln und strafrechtlich zu sanktionieren. Denn eines ist klar: Mit der derzeitigen Aufklärungsquote kann niemand  zufrieden sein – mit Ausnahme der pädokriminellen Sextouristen.

 

Quellen

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